Es ist eine überwältigende Aussicht: Von der Südtribüne aus blickt eine Gruppe von Rotkreuzlern auf rund 105.000 Musikfans, die am Samstag zum Konzert der legendären Rockband AC/DC auf dem Hockenheimring gekommen sind - jedoch nicht zum Vergnügen. Ihre Aufgabe ist es, bei der Großveranstaltung Sanitätsdienst zu leisten – also sich darum zu kümmern, dass verletzte oder hilflose Personen schnell medizinische Versorgung erhalten. Das tun sie zusammen mit weiteren 250 Rotkreuzlern aus den Landesverbänden Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland Pfalz.
Dabei hat der eigentliche Einsatz bereits am Mittwochmittag begonnen: Ein DRK-Führungsstab, der hauptsächlich aus Mitgliedern des Kreisverbandes Mannheim besteht, kümmert sich um die Helferlogistik, plant die Errichtung von fünf so genannten „Medical Centers“, kurz: MCs, die über das gesamte Konzertgelände inklusive dem Campingplatz „Dänisches Langer“ verteilt sind. Über insgesamt vier Tage müssen 405 Personalstellen besetzt werden. Dazu gehört auch der Rettungsdienst, der in Spitzenzeiten am Samstag mit elf Rettungswagen, sieben Krankentransportfahrzeugen und zwei Notarzteinsatzfahrzeugen vor Ort ist. Sanitätshelfer, Rettungssanitäter und –assistenten sowie sechs Notärzte versorgen alles vom Insektenstich bis hin zum Herzinfarkt.
Einsatzleiter Michael Höhne sieht müde aus. In den vergangenen Nächten hat er kaum mehr als zwei Stunden geschlafen. „Der Einsatz ist enorm anstrengend fürs DRK, und die Suche nach so vielen Helfern ist alles andere als einfach“, sagt er. Seit dem Unglück bei der Loveparade in Duisburg im Jahr 2010 habe der Qualitätsanspruch der Veranstalter und der Besucher von Großveranstaltungen deutlich zugenommen. „Umso mehr freuen wir uns über viele junge und motivierte Helfer, die uns bei mehrtägigen Events wie Rock’n’Heim oder den Konzerten der Böhsen Onkelz unterstützen“, sagt Höhne. Für ihn stehe die Kameradschaft dabei stets im Vordergrund und er versuche, dies auch in besonderem Maße zu vermitteln. Das merkt man auch im Führungsteam. Hier kann sich jeder auf den anderen verlassen. „Wir stellen uns großen Herausforderungen, und es ist eine Genugtuung, wenn alles geklappt hat“, sagt der Rotkreuzler.
Besonders freut sich Einsatzleiter Michael Höhne über den im vergangenen Jahr durch das beim Konzert der Böhsen Onkelz entstandenen Kontakt zum DRK-Kreisverband Pforzheim-Enzkreis. Kai Jambor, stellvertretender Bereitschaftsleiter des Ortsvereins Niefern-Öschelbronn, hatte sich als Helfer gemeldet und freundete sich beim Sanitätsdienst mit den Kameraden aus Hockenheim an. „Und dann hat er noch mitbekommen, das wir dringend Verstärkung für die Feldküche benötigen“, sagt Peter Rensland, Leiter der Feldküche des Kreisverbandes Mannheim. Weit über tausend Essen pro Tag zu kochen, hatte ihn und seine achte Helfer an die Grenzen gebracht. Also empfahl Kai Jambor, Kontakt zum DRK-Ortsverein Tiefenbronn aufzunehmen. Gesagt, getan. Wenige Wochen später beim „Rock’n’Heim“-Festival trafen sich die beiden Feldkoch-Teams, und die Chemie stimmte sofort. Auch beim Konzert von AD/DC stemmten die Mannheimer und Tiefenbronner die Zubereitung von rund 750 Essen pro Tag. Mal mit Fleisch, mal vegetarisch und auch vegan.
Um 14 Uhr wird es ernst am Samstag. Der Einlass hat begonnen, und die Menschen strömen aufs Konzertgelände. Vor allem Kleinigkeiten müssen die Rotkreuzler zunächst versorgen: Vanessa Seidel, Sanitätshelferin vom Ortsverein Oftersheim, ist zum ersten Mal bei einer Großveranstaltung und kümmert sich zunächst um einen Patienten mit einer schmerzhaften Blase am Fuß. „Ich finde es faszinierend, hier solch eine große Gemeinschaft erleben zu dür-fen“, sagt die junge Frau. Markus Wohlfart vom Ortsverein Elztal, kümmert sich mit seinem Kollegen Jonathan Hoffmann um einen jungen Mann, der zu viel Alkohol konsumiert hat. Gregor Krömer vom Ortsverein Seckenheim hilft einem Konzertbesucher mit Kreislaufproblemen. „Ich bin plötzlich einfach umgekippt“, sagt dieser und ist dankbar für die Zuwendung der Rotkreuzler im Medical Center Nitro. Ähnlich erging es der jungen Frau, die Nicole Brenner vom Ortsverein Elztal betreut. Blass liegt sie auf dem Feldbett, hat die Füße angewinkelt und nippt an einem mit Cola gefüllten Becher. Ein anderer schwankt zum Eingang des Sanitätszeltes und fragt mit einem breiten Grinsen „Kann ich Euch `ne Kopfwehtablette abkaufen?“. Nach einem kurzen medizinischen Check durch den Notarzt bekommt er die auch – natürlich kostenlos. Gleich zwei Patienten mit Verdacht auf Herzinfarkt betreut unterdessen das MC Start/Ziel, und mit dem Strom der Besucher und der fortschreitenden Uhrzeit nimmt auch die Zahl der Patienten zu: Rund 400 Menschen wurden vom Roten Kreuz betreut. Mal wegen Schnittverletzungen, mal Verstauchungen und Knochenbrücke oder Platzwunden. 71-mal mussten Rettungswagen und Notarzt ausrücken.
So summieren sich letztendlich 5200 Einsatz- und etwa 800 Planungsstunden. Zeit zur Regeration haben die Mannheimer Rotkreuzler nun etwa einen Monat. Dann stehen zwei Wochen Arbeit für die Konzerte des Böhsen Onkelz Ende Juni an. Die DRK-Helfer aus Pforzheim und dem Enzkreis sind dann natürlich auch wieder mit dabei.
Hintergrund: Personelle Unterstützung gab es für die Mannheimer von folgenden befreundeten Kreisverbänden: Karlsruhe, Bergstraße, Rhein Neckar/Heidelberg, Pforzheim-Enzkreis, Mosbach, Bad Mergentheim, Marburg-Biedenkopf, Vulkaneifel, Germersheim, Kusel.